Sonntag, 6. Oktober 2013
Die Parabel vom ausgedienten Tanzbären
Es war einmal ein zotteliger, alter Bär.
der lebte schon seit langer Zeit in einem großen, düsteren Waldstück,
wohin niemals die Strahlen der Sonne fielen.
Viel zu dicht standen die alten Fichtenbäume in Reih und Glied.
Doch für den alten Bären schien dies genau der richtige Ort zu sein
Ein Tag glich dem anderen, er schlief viel und wenn er auf Futtersuche ging,
dann immer nur bis zum Waldrand.
Er war ein griesgrämiger, einsamer, alter Brummbär.
Die Tiere des Waldes gingen ihm aus dem Weg, denn er verströmte die Energie von:
Lasst mir bloß alle meine Ruhe!!
Eines Tages, als der alte Bär wieder mal auf Futtersuche war
und in seinem alten Revier, soviel er auch suchte, absolut nichts mehr zu finden war,
sah er außerhalb seines gewohnten Reichs,
die wunderbarsten, saftigsten und größten Brombeeren, die er je gesehen hatte.
Das Wasser lief ihm im Maul zusammen und sein Magen knurrte so laut,
dass er sich erschrocken umdrehte, da er nicht glauben konnte,
dass dieses Geräusch aus ihm selbst kam.
Vor lauter Hunger entschloss er sich, dort hin zu gehen,
wo diese herrlichen Früchte wuchsen.
Es war eine riesengroße Herausforderung für den alten Bären, aus der Dunkelheit,
in der er sich irgendwie geschützt fühlte, heraus zu treten, ins helle Sonnenlicht.
Doch etwas in ihm, schien ihn richtiggehend hinaus zu schieben,
aus seinem Schattendasein.
So nahm er all seinen Mut zusammen und ging ganz langsam und vorsichtig
Schritt für Schritt, hinaus aus dem Wald.
Das helle Sonnenlicht blendete ihn anfangs so sehr,
dass er immer wieder die Augen schließen musste.
Dann gewöhnten sich seine Augen an das helle Licht.
Ein warmes Gefühl durchflutete ihn, ein Gefühl,
dass er schon sehr lange nicht mehr gespürt hatte.
Es war, als ob das Sonnenlicht ihn streichelte
und Streicheleinheiten kannte der Bär schon seit langem nicht mehr.
Fast wollte sich ein Lächeln in sein Gesicht schleichen,
doch gleich besann er sich und trottete starr und entschlossen weiter.
Als er schon die Hälfte des Weges bis zur Brombeerhecke zurückgelegt hatte,
tauchte wie aus dem Sonnenlicht geboren, ein farbenfroher,
wunderschöner Schmetterling auf, setzte sich ihm frech und herausfordernd
mitten auf seine große Schnauze und rief fröhlich und beschwingt:
"Komm alter Bär, tanz mit mir! Es ist ein herrlicher Tag,
wie könnte man ihn besser ehren, als zu tanzen?"
Unbändige Wut stieg augenblicklich in dem Bären auf
und er brüllt laut und schmerzverzerrt:
"Wenn dir dein Leben lieb ist, so flieg so schnell du kannst weiter.
Niemals mehr wird mir irgendjemand auf der Nase herumtanzen,
auch du nicht und tanzen werd ich, solange ich lebe nie mehr! Hau ab!"
Dabei holte er mit seiner zotteligen Pranke aus,
um dem gesagten mehr Nachdruck zu verleihen.
Der schöne Schmetterling erschrak so sehr über die Heftigkeit dieses Ausbruchs,
dass er geschwind außer Reichweite flog.
"Aber ich hab es doch nicht bös gemeint", rief er erschrocken
Der Tag ist einfach viel zu schön, um so griesgrämig wie du
in der Gegend rum zu laufen und tanzen macht zu zweit doppelt so viel Spaß.
Ich wollte dir bestimmt nicht zu nahe treten, Gevatter Bär.!"
"Das bist du aber und jetzt hau ab und lass mich alleine!" brummte der Bär.
Unbeirrt fuhr der Schmetterling fort:
"Ich tanze den ganzen Tag und kann mir einfach nicht vorstellen,
dass es irgendjemanden gibt, der es nicht liebt zu tanzen."
"Ach, was weißt du schon, du flatterhaftes, dummes, kleines Ding,
für mich ist tanzen die Hölle!"
Unendlich traurig und genervt drehte sich der alte Bär weg und trottete weiter.
Doch so schnell gab der Schmetterling nicht auf.
"Das musst du mir jetzt aber wirklich erklären.
Wie kann tanzen die Hölle sein? Ach bitte, ich will es so gerne wissen, erzähl es mir,
vielleicht versteh ich dich dann besser."
Mir knurrt der Magen, ich habe fürchterlichen Hunger,
da ist mit mir nicht gut Kirschen essen. Ich will jetzt nichts anderes als fressen, kapiert?"
"Kapiert! Klar!
Ich habe Zeit und werde auch noch ein wenig Blütennektar schlürfen
und wenn wir beide satt sind, erzählst du mir deine Geschichte, ja? Bitteeeeeeeee!"
So ein ganz klein wenig berührte die Hartnäckigkeit des kleinen Flattermanns
dann doch das Herz des Bären.
Er fing an, sich darüber zu wundern, dass
jemand Interesse daran haben könnte,
ihm zuzuhören, um seine Geschichte zu erfahren,
wo er doch so unfreundlich und abweisend war.
"Na, Na, was ist? Sag doch bitte Ja!"
bettelt der Schmetterling weiter
und der alte Brummbär wunderte sich selbst am meisten über sein:
°Ja, meinetwegen und jetzt lass mich fressen!"
"Hurra, danke!"
Vor lauter Freude machte der Schmetterling einen Looping
"Ja dann Mahlzeit, lass es dir gut schmecken, bis später."
Es waren die leckersten Früchte, die der Bär jemals gefressen hatte,
süß, saftig, wohlschmeckend und nährend.
Es hat sich gelohnt herauszutreten aus meinem gewohnten Gebiet, sehr sogar
und es erfüllt mich mit Freude, dachte sich der Bär
und fühlte ein warmes Gefühl in sich aufsteigen.
Satt und sehr zufrieden fühlte er sich plötzlich voll Abenteuerlust und Neugierde
dieses neue Gebiet weiter zu erforschen.
Er trottete gemütlich und seit sehr langer Zeit mal wieder gut gelaunt
im strahlenden Sonnenschein weiter.
Wie schön es ist, im Sonnenschein spazieren zu gehen, wie aufregend,
neue Wege aus zu probieren, staunte der Bär.
In dieser Stimmung traf ihn der Schmetterling an
und bemerkte auch gleich den Unterschied.
"Hei, Gevatter Bär, du siehst auf einmal so zufrieden und friedvoll aus.
Was ist geschehen? "Worauf der Bär erwiderte
"Ich glaube, ich sehe auf einmal alles in einem anderen Licht
und das fühlt sich sehr, sehr gut an."
"Willst du mir jetzt deine Geschichte erzählen, ich bin doch schon so neugierig?"
bettelte der Schmetterling.
"Ja, suchen wir uns ein Plätzchen. Ich glaube meine Geschichte wird jetzt ganz anders sein,
als sie es vorher gewesen wäre.
Es ist etwas passiert, seit ich aus diesem dunklen Wald herausgetreten bin
und ich sehe auf einmal alles mit anderen Augen."
In einer sonnigen Waldlichtung mit üppig wachsendem, saftigem Gras
und farbenfroher Blumenpracht machten sie es sich gemütlich.
Der Bär legte sich ins Gras, der Schmetterling setzte sich auf eine
große, blaue Glockenblume und sah ihn erwartungsvoll an.
"Erzähl schon, ich kann es kaum mehr erwarten."
Der Schmetterling hüpfte und tänzelte voll freudiger Erwartung auf einer Glocke
herum und ließ sich dann nieder, um zuzuhören.
Weißt du, begann der Bär, bis vorhin hab ich noch gedacht,
dass ich das bemitleidenswerteste Geschöpf auf Gottes Erdboden wäre,
weil mir das Leben so übel mitgespielt hat
Du musst nämlich wissen, dass
ich in jungen Jahren von einem Bärenjäger
eingefangen und in eiserne Ketten gelegt wurde.
Mein geliebter Wald, meine Freunde, meine gewohnte Lebensweise,
wurde mir so mit einem Schlag entrissen und am schlimmsten war das mit der Freiheit.
Ich konnte nicht mehr tun und lassen was ich wollte.
Ich lag in Ketten im dunklen Keller eines Hauses.
Es war fürchterlich und zum Fressen gab es auch nichts.
Ganz hingerissen und aufmerksam lauschte der Schmetterling der Geschichte des Bären.
"Einmal am Tag kam der Mann, der mich gefangen hatte, ich hasste ihn und war voller Wut."
Er wusste das und gab mir nur Wasser, nichts zum Fressen,
so wurde ich schwächer und weniger angriffslustig.
Eines Tages kam der Mann, stellte eine große, schwere Eisenplatte
in den Kellerraum und zwang mich mit spitzen Lanzen auf diese Platte.
Sie war so heiß, dass ich es nicht aushielt, lange auf einem Fleck zu stehen
und so musste ich immer von einem Fuß auf den anderen hüpfen,
um es auszuhalten und es muss wohl so ausgesehen haben, als ob ich tanze.
Dem Mann schien das sehr zu gefallen.
Er war freundlich zu mir und danach bekam ich zum ersten Mal was zum fressen.
So ging das eine ganze Zeit. Die Platte war jedes Mal etwas weniger heiß,
aber zu fressen gab’s nur, wenn ich es genauso machte, als ob sie glühte.
Schließlich wurde die Platte nicht mehr benötigt
Ich hatte meine Lektion verstanden. Ich hatte gelernt, dass wenn ich tanze
und das tue was von mir verlangt wird, ein voller Futternapf die Belohnung war,
und so tat ich es.
Auch das Verhältnis zu meinem Herrn veränderte sich. Wenn ich tat, was er wollte
sorgte er für mich und war gut zu mir.
Ich hatte mich mit meinem neuen Leben arrangiert.
Ich tanzte schon lange nicht mehr im Keller, sondern vor vielen Menschen auf Jahrmärkten
und bei Zirkusveranstaltungen.
Den Menschen schien es so sehr zu gefallen,
dass sie meinem Herrn Geld dafür gaben und in meinem Fressnapf waren
stets die feinsten Leckereien.
Auch die eisernen Ketten brauchte ich längst nicht mehr.
Ich hatte gelernt Dankbarkeit zu zeigen gegenüber der Hand, die mich fütterte
und an mein früheres Leben erinnerte ich mich überhaupt nicht mehr.
Ich war ein Tanzbär, so glaubte ich und die Zeit davor war wie ausgeblendet.
Dann wurde ich älter, die Knochen taten mir weh und das Tanzen
ging nicht mehr so leicht.
Eines Morgens lud mich mein Herr in das Gefährt mit dem wir immer von einer Stadt
zur anderen fuhren. Ich dachte mir nichts dabei.
Doch stattdessen fuhr er mit mir in den Wald.
Dort sagte er mir, ich sei nun wieder frei und könne tun und lassen was ich wollte.
Er könnte mich jetzt nicht mehr gebrauchen, ich sei zu alt,
er würde sich jetzt einen jungen Bären holen.
Dann ließ er mich allein zurück in einem finsteren Waldstück.
Ich war wütend, zornig, traurig und sehr verbittert über diese Ungerechtigkeit
und Undankbarkeit
Ich zog mich ganz zurück, wollte keine anderen Tiere sehen und hören
und auch nicht reden.
Ich wurde ein Einzelgänger
Mit meiner wieder gewonnenen Freiheit konnte ich nichts anfangen.
Ich konnte mit mir nichts mehr anfangen!
Ich war so gewohnt, das zu tun, was mir gesagt wurde und was andere von mir wollten,
dass ich gar nicht mehr wusste, was ich selber wollte und was mir Freude macht.
Nichts schien mir wirklich Spaß zu machen
Außerdem war es mir viel zu anstrengend, darüber nachzudenken,
was ich mit meinem Leben anfangen wollte.
Mein Frust und meine Enttäuschung, dass ich immer mein Bestes gegeben habe und am Ende so behandelt wurde, waren riesengroß.
Heute ist etwas passiert und es war als ob jemand einen Schalter in meinem Kopf einfach umgelegt hätte.
Ich bin mir plötzlich wieder vollkommen bewusst,
dass ich unendlich viele Möglichkeiten habe
und tun und lassen kann, was immer ich mir wünsche.
Mein Abenteuergeist ist neu erwacht.
Neue Gebiete erforschen, weitergehen voll Freude und Neugierde,
welch ein Geschenk.
Ich weiß auf einmal, dass mein Leben in der Vergangenheit nicht umsonst war
und dass ich erst durch all das, was mich früher einmal begrenzt, eingeengt
und in Ketten gelegt hat,
meine jetzige Freiheit so richtig in vollen Zügen genießen kann.
Ohne die alten Erfahrungen wäre das Geschenk nicht so groß,
denn ich hätte das Gegenteil nie erfahren. Alles ergibt jetzt einen Sinn.
Mein ganzer Frust und Groll ist jetzt vollständig verschwunden,
null Enttäuschung mehr.
An ihrer Stelle pulsiert jetzt in mir lebendige Freude und unendliche Dankbarkeit.
Komm kleiner Freund, lass uns tanzen und das Leben feiern
und dann erzählst du mir deine Geschichte!"
Der bunte Schmetterling hatte sehr aufmerksam zugehört.
"Weißt du, da sind wir beide so verschieden in unserem Aussehen
und doch ist meine Geschichte, deiner sehr ähnlich.
Von der Schwere in die Leichtigkeit!
Doch morgen ist auch noch ein Tag.
Komm lass uns tanzen und lachen und uns des Lebens freuen"
Fröhlich lachend, federleicht und voller Spaß
flog er dem Bären erneut auf die Nase.
Diesmal schmunzelte der Bär.
Voller Begeisterung drehten sie sich gemeinsam
und tanzten zum Pulsschlag von Mutter Erde, Vater Sonne und Schwester Mond.
Sie tanzten im Rhythmus der gesamten Existenz.
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